Wenn hierarchische Ebenen das Verständnis füreinander verlieren, kommt es zu einem Horizontalen Schisma. Reflexartig reagieren viele Führungskräfte darauf mit Dominanz. Im Gegenzug werden sie von der Mitarbeiterschaft exkommuniziert und vereinsamen.

Der einzig wirksame Weg aus dem daraus erwachsenden Circulus Vitiosus führt über das Reset der persönlichen Orientierung.  

 

 

Jahresende. Im Supermarkt. Letzte Einkäufe vor den Feiertagen.
Menschen begrüßen sich, wünschen sich Frohe Festtage. Die Stimmung ist gut.

Da betritt B. den Laden.
„Wie geht’s Dir?“
Langsam heben sich seine Augen und dann kommt die Antwort: „Nur noch einen Tag, dann habe ich Urlaub. Da geht’s mir dann gut!“.

Es schließt sich ein kleines Gespräch an. B. wirkt so, als hätte er sich nur mit Mühe in den Sportsaal geschleppt. Freude oder Kraft strahlt er nicht aus. Diese Haltung und diesen Blick kenne ich nur zu gut von frustrierten Angestellten, denen der Sinn in ihrer Arbeit vollkommen abhanden gekommen ist. Ich kenne das von solchen, die sich als Opfer der Umstände oder ihrer Chefs sehen und deren Geist stets nach Gründen sucht. Solche, die längst in die innere Kündigung verschwunden sind und sich selbst nur noch als Angestellte und Pflichterfüller verstehen.

Aber es gibt einen kleinen Unterschied: B. ist Direktor eines Unternehmens von rund zweieinhalbtausend Mitarbeitern!

Früher einmal ist er das Gravitationszentrum des Hauses gewesen, war beliebt unter seinen Mitarbeitern und strahlte Zuversicht aus.
Das war einmal und ist vorbei. Er habe das Gefühl, dass seine Führungswirkung verschwunden sei, so sagt er.
Irgendetwas hat ihn gebrochen und nun fühlt er sich, als ob der Ozean über ihm zusammenbräche.

Das Horizontale Schisma

Im Gespräch stellt sich heraus, dass das Unternehmen von einem Horizontalen Schisma durchzogen ist.
Ein solches Horizontales Schisma entsteht immer dann, wenn die Kommunikation zwischen zwei hierarchischen Ebenen schwer gestört ist. Vor allem wenn sich die obere Führung mental vom eigenen Haus abgekoppelt hat, während die mittlere Ebene den Fokus auf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen konzentrieren muss, weil diese die Arbeit verrichten.

Geht es dann oben nur mehr um Finanzziele, Einsparungen oder um die Reduktion des Headcounts, ist das Horizontale Schisma nicht mehr aufzuhalten.
Spätestens ab diesem Moment arbeiten Oben und Unten gegeneinander.

Im Unternehmen von B. ist das der Fall. Hinzu kommt, dass er von seiner eigenen Konzernspitze zum Erfüllungsgehilfen degradiert wird. Er heißt zwar noch Direktor, aber entschieden wird weiter oben. Bewegungsfreiheit hat er nicht, verantwortlich gemacht wird er dennoch. Frustration und Einsamkeit bestimmen seinen Arbeitsalltag.

So geht es nicht weiter!

B. ist desillusioniert und hat die Orientierung verloren.
Angst? Ja, die hat er.
Wovor? Das weiß er nicht so genau.
Nur eines weiß er ganz sicher: so geht es nicht weiter!

Es ist offenbar, dass B. seine innere Spur verloren hat. Irgendwann war er als junger Techniker angetreten, die Welt besser zu machen. Zuerst kam er gut voran. Dann verlor sich der Pfad und heute, so sagt er selbst, ist es ein wegeloser Sumpf, in dem man nicht mehr vorankommt.

Was, so fragt er, soll ich tun?

Was soll ich tun?

Was B. braucht, sind nicht neue Management-Techniken, sondern ein Reset seiner persönlichen Orientierung. Dazu sind vier Lektionen zu erarbeiten:

  1. Das Gefühl persönlicher Reichweite zurückgewinnen.
    Derzeit erlebt er sich als besoldeter Befehlsempfänger. Menschen brauchen aber Reichweite. Das heißt, wir alle benötigen das Gefühl, dass unser Handeln etwas bewirkt. Genauer: dass es das Leben anderer besser macht.
    Konkret: wieder zum aktiv Handelnden werden und die Opferhaltung hinter sich lassen.
  2. Sicherheit gewinnen, sich persönlich weiter zu entwickeln.
    Der Mensch ist ein lernendes soziales Wesen. Wir sind neugierig und wir wollen Aufgaben lösen, die sich uns stellen. Unser Gehirn ist aber nicht in der Lage, diese immer wieder heranbrandenden Wellen von Einsparung und Reduktion des Headcounts überhaupt noch als sinnvolle Aufgabe zu erkennen. Im Gegenteil: tritt etwas immer wieder ein, wird es im Gehirn vom vom limbischen System als Routine abgelegt und nicht mehr berücksichtigt! Irgendwann hilft dann auch keine konstruierte „Dringlichkeit“ mehr.
    Konkret: Ein Mosaik von Erlebnissen persönlicher Selbstwirksamkeit modellieren.
  3. Das Erlebnis von Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit in der Arbeit entfalten.
    B. ist in einer vertrackten Situation. Von oben wird er behandelt wie ein Diener. Von unten wird er aber als „vollentgrätete Qualle“ betrachtet (wie einer seine Mitarbeiter sagt). Das heißt, er gehört nirgends dazu und ist exkommuniziert.
    Konkret: Die Fäden in die Hand nehmen und seine Leute als Menschen erkennen, deren Unterstützung er braucht.
  4. Vision und höheres Ziel entwickeln.
    Wie fast überall, so herrscht auch in seinem Unternehmen ein Visionsvakuum. Was dann als Strategie verkauft wird, ist oft nicht mehr als verbal aufgepepptes taktisches Geplänkel. Weil Vision und strategische Linie fehlen, wird die Schlagzahl immer höher. Allerdings fehlen Richtung und Klarheit. Hier liegt der wahre Grund für das Gefühl der allgemeinen Beschleunigung verborgen!
    Konkret: Sich klar werden, wozu man selbst da ist und wofür es eigentlich dieses Unternehmen gibt. Loyalität gegenüber jenen Menschen entwickeln, die man führt.

All das geht nicht von heute auf morgen. Es verlangt Geduld und Ausdauer.

Aber es wirkt!

Als wir uns verabschieden wünsche ich B. für das Neue Jahr nicht nur Erfolg und Gesundheit, sondern auch Geduld, Durchhaltevermögen und ein scharfes Gehör für Unterstützungsangebote seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

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