Vor 4.000 Jahren verstand Sinuhe, der Ägypter, unter Kultur (MAAT) all das, was ihn zum Ägypter machte. Das gab ihm Identität, Stolz und Geschichte. Was aber ist das Besondere, wenn man Mitarbeiter des Unternehmens XY ist? Von Sinuhe könnten wir einiges lernen.

Maat

„Hätte man Sinuhe, den Ägypter, vor viertausend Jahren gefragt, was seine Kultur sei, dann hätte er die Frage gar nicht verstanden“, sagte der britische Ägyptologe Aidan Dodson unlängst in der BBC. Für die alten Ägypter war es einfach ihre Art zu leben und zu denken. Diese nannten sie MAAT. MAAT war so selbstverständlich, dass es einem durchschnittlichen Ägypter einfach nicht in den Sinn kam, darüber zu reflektiern.

Ein ähnliches Phänomen kannte man noch vor wenigen Jahrzehnten in sehr vielen Unternehmen. Man erinnere sich, was es einmal bedeutet hat, ein „Kruppianer“, ein „Kapschler“ oder „bei Siemens“ zu sein. Unternehmen aller Größen pflegten dieses Gefühl der Besonderheit unter ihren Angestellten und konnten sich deren Loyalität sicher sein.

Mir selbst ist meine Zeit als junger Volontär bei der „Presse“ noch sehr präsent. „Denk immer daran, du BIST die Presse!“ sagte mir Peter Martos, mein damaliger Redaktionschef, als er mich zum ersten Mal zu einem kniffligen Interview hinausschickte. Nach wenigen Jahren wandte ich mich anderen Beschäftigungen zu. Das Gefühl dazuzugehören hat mich jedoch nie ganz verlassen.

Erklären hätte ich das damals auch nicht können. Heute weiß ich, dass solche Gefühle der Zugehörigkeit Ausdruck einer besonderen Kultur sind.

Vögel fliegen,
Fische schwimmen,
Menschen „kulturieren“

Kultur ist das Medium, in dem Menschen sich bewegen. Sie ist für uns genau so, wie Wasser für den Fisch oder Luft für den Vogel. Sie ist es, die uns zusammenhält und trägt. So Fons Trompenaars, der sich seit Jahrzehnten mit interkultureller Kommunikation beschäftigt. Kultur, so meint er, bleibt nahezu unbemerkt, weil sie unser angeborenes Element ist.

„Kultur – oder MAAT – ist das, was einen zum Ägypter machte“, stellt Aidan Dodson in unübertrefflicher Knappheit fest. Zum Ägypter wurde man nicht durch Geburt. Zu unterschiedlich waren die Völker, die sich im Reich des Pharao versammelt hatten, das von den Schilfgürteln des Nil-Deltas bis weit in den heutigen Sudan reichte.

Egyptitas – Die Ordnung der Dinge

Was die Ägypter einte, war das gemeinsame Verständnis der Welt und der Dinge, die sie umgaben. Mit MAAT bezeichneten sie diese gemeinsame Auffassung.

MAAT hat deshalb viele Bedeutungen. Sie reichen von dem was als wahr gilt, über die Auffassung der richtigen Ordnung der Dinge, über ihre Ansicht von Gerechtigkeit, bis hin zur Vorstellung, wie die Welt eigentlich sein sollte. Alle dies zusammengenommen bildete die Ordnung ihres geistigen Kosmos. Erst diese Vorstellung von Ordnung ermöglichte Hoffnung inmitten eines alltäglichen Chaos, das schon die alten Ägypter plagte. Und sie bildete die tiefliegende Basis für Politik und Gesetzgebung, also für alle Entscheidungen, welche Gemeinschaft und Reich betrafen.

… und die Organisationskultur?

Wer heute über Kultur und Organisationskultur nachdenkt, der benötigt eine Auffassung von Kultur, die der ägyptischen MAAT ähnelt. Alexander Thomas, emeritierter Professor für Psychologie, definiert beispielsweise Kultur als jenes Orientierungssystem, das Fühlen, Denken, Handeln und Bewerten bestimmt.

Die Beschäftigung mit diesem seltsamen Gebilde, das uns Menschen zusammenhält, ist in den letzten Jahrzehnten in den Hintergrund getreten. Es geriet nahezu in Vergessenheit. Andere Dinge wurden gepflegt. Der Verlust des Wissens über die Bedeutung der Organisationskultur macht sich direkt im Niedergang von Orientierung bemerkbar.

Was wäre wohl im alten Ägypten die Folge einer solchen Entwicklung gewesen? Gemeinsamkeit und Solidarität hätten sich verflüssigt und das Reich wäre daran zugrunde gegangen.

Aber das war ja das alte Ägypten, wo Geld noch kaum eine Bedeutung hatte. Oder?