Selten kommt es vor, dass man als Kunde sehr positive, sogar begeisternde Überraschungen. erleben kann. Noch bemerkenswerter ist es, wenn überragende Kundenorientierung in einem staatlichen Unternehmen erlebbar wird. Hier bei der SNCF, der französischen Eisenbahn.

TGV

Der Urlaub ist zu Ende. Abfahrt mit dem Zug in Bordeaux. Der Hochgeschwindigkeitszug aus Toulouse hat 35 Minuten Verspätung, aber das Einchecken funktioniert reibungslos. Mit 320 km/h geht es im TGV Richtung Paris. Ankunft in Paris-Montparnasse und immer noch eine große Verspätung. Wir müssen mit sperrigem Gepäck die Metro zum Gare de l’Est nehmen. 13 Stationen. Schließlich erreichen wir den Bahnsteig – genau eine Sekunde zu spät! Unser Schlafwagen verlässt gerade den Bahnhof.

Was nun geschieht ist bemerkenswert

Es ist ein Beispiel für das Zusammenwirken hervorragender Organisation mit einer starken Unternehmenskultur.

Am Infoschalter frage ich nur, was wir nun tun sollen? Als erstes bekommen wir die Information, dass das leider der letzte Zug für heute gewesen sei. Dann kommt kontrollierte Bewegung auf. Schnell wird in Computer getippt. Die Angestellte bespricht sich mit einer Kollegin. Dann sagt sie: Wir können Sie in einem TGV nach Metz schicken. Dort können wir den Schlafwagen etwas aufhalten. Sie müssen aber rennen.

Zunächst bin ich sprachlos! Dann erkläre ich, dass rennen mit dem Gepäck nicht wirklich möglich sein wird. Wieder kontrollierte Bewegung. Der Chef des Informationsteams wird beigezogen. Schließlich wendet sich die Dame am Schalter wieder an uns:

Wir haben den TGV nach Straßburg hier am Bahnsteig etwas aufgehalten. Mit dem schicken wir sie dorthin. Er wird den Schlafwagen überholen. Der hat dort zwar keine Haltestelle, aber wir lassen Sie einsteigen!“ Flink wird uns eine Fahrharte in die Hand gedrückt und wir werden im Eilschritt zum Zug begleitet. Dort erwartet man uns bereits. Mit dem Gepäck hilft man uns und los geht’s. Wieder mit 320 km/h, diesmal nach Straßburg.

Der gesamte Vorgang hat nur zehn Minuten gedauert

Alles geschah schnell, ohne Hektik und mit umwerfender Freundlichkeit. Als ich mich bei unserer Begleiterin bedanke und meinem Erstaunen Ausdruck verleihe, lächelt sie nur und sagt: „Ah, mais c’est normal!“ Ach, das ist doch ganz normal!

Unterwegs vermutet meine durch Erfahrung misstrauisch gewordene Frau, dass die Pariser uns als Problemfälle zu ihren Kollegen nach Straßburg entsorgt hätten.

Aber weit gefehlt!

Wir werden vom dortigen Bahnhofsvorstand empfangen und mit Namen begrüßt. Den Schlafwagen hätten wir erfolgreich um eine Stunde überholt und er persönlich würde sich nun unser annehmen. Nach einer kleinen Wartezeit kommt der Schalfwagen. Der Bahnhofsvorsteher begleitet uns zu unserem Abteil. Man hilft uns unser Gepäck zu verstauen und wir schlafen wunderbar, bis wir mit einer Tasse Kaffee von der Schaffnerin geweckt werden und pünktlich in München ankommen.

Nach all dem wollen wir uns etwas Ruhe gönnen und ein paar Stunden in München verbringen. Ich erzähle der freundlichen Dame in der Münchner Information, was wir in der letzten Nacht erlebt haben. Sie ist sichtlich erstaunt und sagt: „Das wäre Ihnen bei uns nicht passiert“. Und dann schiebt sie nach: „Aber Sie sollen ja auch Freude daran haben, wenn Sie mit dem Zug reisen!“

Wie recht sie hat – wir sind begeistert!

Damit Kunden derart schnell, kompetent und verbindich behandelt werden können sind viele Voraussetzungen zu erfüllen.  Hier hat nicht nur die Organisation perfekt geklappt. Die Mitarbeiter der Bahn haben unverzüglich Verantwortung übernommen und nicht unwesentliche Entscheidungen getroffen. Sie waren dabei äußerst kompetent, schnell, aber nie hektisch, haben geholfen und in vorbildlicher Weise quer über das Land mit Kollegen kooperiert.

Das ist nur möglich, wenn alle das wirklich wollen!

Wohl jedes Unternehmen wünscht sich so zufriedene Kunden wie uns. Aber warum klappt das in der Realität so selten? Der Grund liegt darin, dass Unternehmen und ihre Führungskräfte zwar Kundenorientierung von ihren Mitarbeitern verlangen, dann aber zu wenig (oder gar nichts) tun, um ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Lage zu versetzen, das auch in die Realität umsetzen zu können. Es wird übersehen, dass ein solches Ausmaß an erlebbarer Kundenorientierung in aller Regel erst die Folge einer starken Unternehmenskultur ist.