Ober- und Unterägypten wurden vor fast 5.000 Jahren vereinigt. Menes, dem ersten Pharao, gelang es nach einigen Fehlversuchen aus beiden Teilen ein Volk zu machen. Wie er das tat ist ein ideales Vorbild für erfolgreiche Organisationsentwicklung.

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Gewalt schafft keine Einigkeit

Es ist rund 5.000 Jahre her, dass es König Menes, dem Herrscher von Oberägypten, gelang, Ober- und Unterägypten nach 300 Jahren ständiger Kämpfe und Kriege zu vereinen. So will es die Überlieferung.
Daraus wurde das langlebigste und erfolgreichste Großereich der Geschichte.

Wie war ihm das gelungen?

Nach seinem Sieg tat er das, was alle siegreichen Könige tun. Er entsandte Beamte und Militär nach Unterägypten und übte königliche Gewalt aus. Der Erfolg blieb allerdings bescheiden. Er hatte zwar gesiegt und herrschte. Aber der Keim des Widerstandes flammte immer wieder auf. Je mehr Gewalt er ausübte, umso raffinierter wurde der Widerstand. Und jede Methode den Widerstand zu brechen schien nur Hinweise darauf zu geben, wie man die neuen Regeln umgehen könnte.

Menes hatte die Absicht einen langdauernden Frieden herbeizuführen und das Reich zu einem Zentrum der Prosperität zu machen. Die Erfahrungen, die er nach seinem Sieg machen musste, zeigten vor allem eines: so war das nicht zu erreichen.

 
Auftrag an die Hoheprister

Schließlich gab er den Hohepriestern den Auftrag, sich etwas einfallen zu lassen, um das gewünschte Ergebnis zu erzeugen.

Die Entscheidung selbst zurückzutreten und seine Mitarbeiter zu beauftragen war eine Entscheidung, die eines Königs würdig war. Wichtig ist zu wissen, dass damals jeder Gebildete priesterliche Weihen besaß und dass die Hohepriester die Gebildetsten des Reiches waren.

 
Abtasten der möglichen Zukünfte

Sogleich machten diese sich an die Arbeit. Als erstes erhoben sie die aktuelle Situation und stellten fest, dass in den beiden Reichen sehr unterschiedliche Kulturen beheimatet waren. Diese materialisierten sich in verschiedeneren Religionen und Götterwelten.

Damit war klar, in welche Richtung sie zu suchen hatten. Es musste eine neue Identität entstehen, die sich in einer gemeinsamen Religion manifestieren musste.

Dafür standen ihnen drei Wege offen:

 

a) Die Religion des Siegers durchsetzen

Dieser Weg aber verlangte nach massiver Anwendung von Gewalt. Er hätte die Vernichtung der Religion Unterägyptens verlangt.

Die Folge eines solchen Vorgehens wäre das Abwandern der Religion der Verlierer in den Untergrund gewesen. Sie wäre geradezu das Kennzeichen des Widerstandes geworden. Am Ende würden unweigerlich Aufstände und Bürgerkrieg stehen.

Diese Lösung war also nicht brauchbar.

b) Jedem seine Religion lassen

Diese zweite Lösung verbot sich ebenfalls. Denn dann hätte es eine „bessere“ und eine „schlechtere“ Religion gegeben. Dieses Phänomen beobachten wir seit einem Jahrhundert in Nordirland.

c) Eine neue, gemeinsame Religion schaffen

Blieb nur die Alternative eine neue Religion zu gründen.

Diese musste aber bestimmten Bedingungen genügen, sollte nicht auch sie Keim kriegerischer Handlungen sein.

Dies war nur möglich, wenn es gelänge – so überlegten sie – nicht nur eine Religion zu schaffen, sondern gleichzeitig auch jedem Reichsteil, ja jedem Dorf seine Götter und Heiligen zu lassen – und damit die lokale Identität zu bewahren.

 

Wie erreichten sie das?

Sie schufen eine neue Identitätsfigur, einen Gott, und gaben ihm den Namen PTAH. Dessen Glieder setzten sie zusammen aus abwechselnd einem Gott Ober- und einem Gott Unterägyptens.

So konnte jedes Dorf und jede Stadt ihre lokalen Gottheiten behalten. Lediglich eine neue Überstruktur wurde geschaffen.

Behutsam setzten sie diesen Plan um. Und es gelang: Ägypten wurde ein nachhaltig blühendes Land mit einer einzigen Identität, die sie MAAT nannten. Mit diesem Begriff bezeichneten sie ihre Kultur. Also das, was einen zum Ägypter machte: den gemeinsamen Glauben an die Ordnung der Dinge, wie sie in Ägypten galt. MAAT war das ägyptische Maß aller Dinge.

Doch damit nicht genug: Unter Echnaton (1340–1324 v. Chr) erlebte der Eingottglaube als ATON eine neue Blüte, wanderte schließlich als JAHWE in das Judentum und schließlich auch in das Christentum ein.

Was wir hier in ein paar kurzen Zeilen beschrieben haben, ist eine der großartigsten intellektuellen Leistungen der Weltgeschichte.

 

Was ist daraus zu lernen?

Heute gibt es Banken, die vor über 20 Jahren fusioniert wurden und bei denen nach wie vor noch nicht einmal die Computersysteme kooperieren. Mindestens 90% aller Reorganisationsprogramme scheitern und kosten nicht nur Geld sondern schaffen Unmut und Demotivation. Dasselbe gilt für den Wechsel von Strategien oder für die Neuausrichtung der Aufgaben von Unternehmen oder Abteilungen.

Es gibt unendlich viele solche Geschichten des Scheiterns. Dabei entstehen stets enorme Kosten und nachhaltiger Schaden.

Vieles davon könnte man sich ersparen, wenn man die Werthaltungen der beteiligten Menschen berücksichtigen und in den Prozess der Veränderung mit einbeziehen würde.

 

Übrigens: Die Ägypter haben uns schriftlich überlassen, wie sie es taten. Zu lesen ist der Text in Hieroglyphenschrift auf Stele 797 im British Museum zu London.