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Was wir gerade errleben ist ein grundlegender Paradigmenbruch. Er zeigt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Für Organisationen könnte das aber auch ein Vorteil sein - sofern sie die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkennen.

 

 

Diesen Blog habe ich 2014 begonnen. Gerade war mein viertes Buch erschienen. Unter dem Titel „Wieso arbeiten wir eigentlich hier?“ behandelte es das immer bedeutender werdende Thema der Kultur in Organisationen. Denn die Veränderung der Beratungspraxis in Unternehmen zeigte deutlich die steigende Bedeutung des Miteinanders und des Klimas in Organisationen.

Die Themen ändern sich

Ein starker Indikator dafür war die Entwicklung der Literatur zu Themen des Managements und der Führung. Heute sind kaum noch Werke darüber zu finden, wie man als Führungskraft seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen „richtig“ motiviert, auf Ziele konditioniert und Konflikte sozialtechnologisch unter Kontrolle bringt.

An ihre Stelle ist eine weite Liste von Titeln getreten, unter welchen das Thema Unternehmensführung aus einer vollkommen anderen Perspektive betrachtet wird. Es geht nicht mehr darum, was zu tun sei, um „richtig“ zu führen, sondern vielmehr darum, wie ein Rahmen geschaffen und gepflegt werden kann, in dem sich Menschen innerhalb eines Unternehmens wohl fühlen können. Vorreiter waren z.B. Titel wie „Aufstand des Individuums“ von Reinhard Sprenger (2000), oder „Emotional Leadership“ von Daniel Goleman (2003).

Paradigmenwechsel im Denken

Unter dem vorherrschenden Primat einer sich als Wissenschaft verstehenden Betriebswirtschaft ist dieser Paradigmenwechsel kaum zu verstehen. Wie viele meiner Kollegen hörte ich aus Managementkreisen oft den Satz: „Es ist zwar sehr interessant, was Sie erzählen, aber die Wirklichkeit sieht anders aus!“

Bei dieser „Wirklichkeit“ handelte es sich aber nicht um die Realität, sondern um eine weithin akzeptierte und an den Hochschulen gelehrte Modellvorstellung. Eine Doktrin also.

Gefühle waren nicht gern gesehen

Wie jede Doktrin hatte aber auch diese immer schon enge Grenzen. Das war auch damals für jeden erkennbar, der sich ernsthaft mit den Klagen der Mitarbeiter in Unternehmen beschäftigte. Gefühle aber waren in Führungsetagen nicht gerne gesehen, denn die Doktrin verlangte, dass Manager sich ausschließlich an Zahlen zu orientieren hätten. „Zielorientierung“ wurde das genannt und galt als hoher Wert in Führungskreisen.

Dazu gab es eine Menge an technischen, vor allem IT-gestützen Hilfsmitteln, die allesamt wiederum Zahlen produzierten. Es fiel nicht auf, dass diese Zahlenwerke nichts wiedergben, was für Menschen Bedeutung hat. Übersehen wurde auch, dass sie vielfach dazu dienten, Führungskräften Deckung zu bieten. Denn, so die Annahme, wer Zahlen nur in der richtigen Weise erzeuge, der konnte ja keinen Fehler gemacht haben.

Finanzkrise und Verlust der Orientierung

Ab 2007 setzte dann die Finanzkrise ein. Nun mehrten sich die Zweifel. Es hatte sich gezeigt, dass Handlungen und Sichtweisen nicht schon deshalb richtig sind, weil nahezu alle sich daran halten. Aber was nun? Die alte Orientierung war verloren gegangen.

Wenn Menschen die Orientierung verloren geht, dann suchen sie Wege in der Gemeinsamkeit. Genau das trat auch ein und der Mensch, insbesondere der Mitarbeiter und Kollege begann nach und nach auch in den Vordergrund von Theorien und Konzepten zur Unternehmensführung zu treten.

Eine neue Weltsicht entwickelt sich

Zwar wird uns das allein an Zahlen orientierte Verständnis des Unternehmens noch eine ganze Weile begleiten. Aber nun trat eine fundamental andere Sichtweise an seine Seite. Diese geht davon aus, dass jeder Mensch intrinsisch motiviert ist, solange man ihm die Eigenmotivation nicht nimmt. Da der größte Teil des Tages am Arbeitsplatz verbracht wird, entstand die Forderung das Leben in die Arbeit hinein zu holen.

Das ist es, was die Jungen der Generation Y heute vom Arbeitgeber verlangen. Und das ändert alles. Denn die Jugend definiert die Zukunft. Dagegen sind auch mathematische Wirtschaftsmodelle machtlos.

Unterstützt wird der damit verbundene Paradigmenbruch Nicht nur durch Autoren, wie Isaak Getz oder Frederic Laloux, sondern auch durch eine Vielzahl von Wissenschaften. Denn auch dort verändert sich das Denken.

Andere Sichtweisen in vielen Wissenschaften

So etwa die Neurophysiologie, die der Spur der Begeisterung nachgeht und zur Wiederentdeckung der Freude auffordert (Gerald Hüther: „Etwas mehr Hirn, bitte“). Die Biologie, die uns vom Sockel althergebrachter Überheblichkeit stößt (Frans de Waal: „Der Affe in uns“) In das gleiche Horn stößt der Historiker Yuval Harari mit „Homo Deus“. Auch die Psychologie rückt näher an das Individuum heran und bringt Bestseller wie „Immunity to Change“ hervor. Hinzu kommen eine Reihe anderer Disziplinen, wie etwa die Sprachwissenschaft, die in gut lesbarer Form beschreibt, wie Sprachmuster die Wahrnehmung steuern (E. Wehling: „Politisches Framing“). Nicht zu vergessen, Papst Franziskus, der bereits in mehreren Publikationen das Bild der Theologie zurechtrückt (zuletzt: „Gott ist jung“).

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Was wir hier vor uns haben ist viel mehr als eine einfache Mode. Vor unseren Augen findet eine grundlegenden Veränderung unserer Weltsicht statt. Unser Blick auf unsere Mitwelt beginnt einen anderen Weg zu gehen. Verbunden damit auch der Blick auf uns selbst.

Das ist eine Revolution!

Organisationen, die diese Zeichen nicht erkennen, kommen bereits jetzt zunehmend in Schwierigkeiten. Damit bekommt der Ausspruch Michail Gorbatschows von 1989 eine neue Bedeutung: "Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren."