"Fridays for Future" in Bad Tölz

 Jeden Freitag protestieren Schüler unter dem Titel „Fridays for Future“. Aber sie werden viel zu wenig verstanden. Die Reaktionen aus der Welt der Erwachsenen vertiefen nur die Gräben.

 

 

Ende März. Es ist Mittag im bayrischen Bad Tölz. Plötzlich tönt Lärm von der Isar herauf. Langsam wird klar, dass es sich um Sprechchöre handelt. Dann taucht ein Streifenwagen im Schritttempo auf und dahinter werden Transparente hoch gehalten. Ach, es ist Freitag.

 

Aber „Fridays for Future“ in einem Provinzstädtchen mit nur 17.000 Einwohnern?

 

Hört auf unser Haus anzuzünden

 

Dann ziehen sie vorbei. Es ist nur etwa eine Hundertschaft, die diszipliniert und von Ordnern begleitet die Hauptstraße entlang geht. Aber ihre Gesichter sind ernst. Ihr Gefühl des Ausgeliefert-Seins ist fast mit den Händen greifbar.

 

„Wir demonstrieren dafür, dass Ihr aufhört, unser Haus anzuzünden“, sagt Maxl, einer der Initiatoren. „Bitte Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen was sie tun“ hat ein blondes Mädchen auf ein Plakat geschrieben. Bis vier Uhr früh habe er sein Plakat gemalt, sagt Josef. Darauf steht: „Wir sind laut, weil Ihr unsere Zukunft klaut!“

 

Diesen Kindern und Jugendlichen ist es wirklich ernst. Jedem, der sie sieht, ist sofort klar, dass das kein Spaß ist. Sie sind in einer Welt aufgewachsen, die ihnen keine Perspektive bietet. Und sie sind gut informiert. Sie wissen genau, dass die Früchte auf dem Baum unserer Gesellschaft nicht mehr reif werden können. Sie wissen genau, was das unablässige Streben nach Wachstum anrichtet, hier und anderswo in der Welt. Sie wissen, dass eine zunehmend visionslose Politik dem immer weniger entgegen zu setzen hat. Sie haben Angst und fürchten sich.

 

Wenn 15jährige sich Sorgen um die Welt ihrer Enkel machen....

 

Diese 15jährigen fürchten um die Welt ihrer Kinder und Enkel, wie auf einem anderen Plakat zu lesen stand. Aber sie werden nicht gehört.

 

Nein, das ist kein Spaß. Das ist die künftige Zivilgesellschaft. Als Jugendliche haben sie keine andere Möglichkeit, als auf die Straße zu gehen. Sie protestieren, indem sie provozieren und die Schulen verlassen. Deshalb nehmen sie Verweise und langes Nachsitzen ebenso in Kauf, wie die Drohungen mancher Politiker, die von unerlaubten Fernbleiben vom Unterricht und Schulschwänzen reden.

 

Wo wollen wir eigentlich alle hin?

 

Der Aufhänger ihres Protestes ist zwar die Umwelt, aber es geht um wesentlich mehr. Auf dem Spiel steht unser aller Zukunft. Als Gesamtgesellschaft scheinen wir irgendwie vergessen zu haben, wo wir eigentlich hinwollen. Wohin sollen uns all die Egoismen und Spaltungen bringen? Was soll am Ende des allgegenwärtigen Kleinkrieges, der zunehmenden Brutalisierung der Sprache, der Errichtung von Mauern in den Köpfen stehen? Wann ist „Wachstum“ groß genug? Geht das überhaupt mit zu Ende gehenden Ressourcen?

 

Das ist der Typus der Fragen, welche diese Jugendlichen bewegen. Sie bekommen keine Antwort. Deshalb protestieren sie. Sie wollen hören, woran sie sich orientieren können. Sie brauchen konstruktive Perspektiven, denn sie denken bereits in ihrem Alter an die Welt, in der sich ihre Kinder und Enkel einmal befinden werden.

 

Diese Jugendlichen übernehmen gesellschaftliche Verantwortung!

 

Mit anderen Worten, sie übernehmen Verantwortung für sich selbst, für ihren künftigen Nachwuchs und für die gesamte Gesellschaft. Sie wollen nicht nur eine Zukunft, sie brauchen sie auch. Das ist nicht nur ihr Recht. Das ist auch ihre Pflicht ihren künftigen Kindern gegenüber.

 

Wir wären gut beraten, sie darin zu unterstützen! Denn sie werden die Kraft nicht vergessen, die sie weltweit und solidarisch mit „Fridays for Future“ entwickeln konnten. Sie werden sich auch die Reaktionen gut merken, auf die sie nun stoßen. All das wird in wenigen Jahren die Basis ihres Handelns bilden.

 

In der Pflicht sind nun wir Ältere!

 

Jetzt von Schulverweigerung zu sprechen, muß ihnen wie Gesprächsverweigerung vorkommen. Schlimmer: diese Verweigerung wirkt wie vorsätzliche Negation jener Verantwortung, welche die Jugendlichen selbst bereit sind zu tragen – mit gravierenden Folgen: Reputation und Glaubwürdigkeit der heute Verantwortlichen sinken dramatisch weiter und der Graben zwischen den Generationen vertieft sich.

 

Es wäre allen geholfen, nähmen wir Älteren ihren Ruf wahr und verstünden ihre tiefer liegenden Fragen. Dann würde uns schnell klar werden, dass wir selbst die Vorfahren der Zukunft sind und Verantwortung haben.