Spontan greift ein älterer Mann zum Telefon und ruft Senad Kusur an, den Imam von Tulln: „Dieser Schritt gibt mir Hoffnung. Als Jugendlicher hätte ich gerne solche Vorbilder gehabt, dann wäre mein Leben anders verlaufen!“

 

Wenn Licht durch ein Fenster tritt

Es geschah wenige Tage nach dem Terrorüberfall in Wien. Da hatte er vom gemeinsamen Auftritt der Priesterschaft Tullns und des Bürgermeisters im Freitagsgebet der hiesigen Moschee erfahren. Und er hatte im Internet die berührenden Reden des darauffolgenden Sonntag gehört, von Bürgermeister und Imam. Beim Hören war es ihm vorgekommen, als sei ein Fenster aufgesprungen, durch das plötzlich ein Lichtschein eingetreten war, der sein Leben ein wenig machte.

Hoffnung entsteht durch Miteinander

„Seit meiner Kindheit bin ich von der Religion enttäuscht. Aber jetzt schöpfe ich Hoffnung“, erklärte der Mann, der Jahrzehnte keine Moschee mehr aufgesucht hatte. So wie er haben auch viele andere ebenfalls begeistert angerufen. Einige von ihnen nicht religiös, so wie der ältere Mann. Dennoch riefen sie an, um ihrer Freude und ihrer Hoffnung Ausdruck zu verleihen.

Sie erzählten von ihrer Erleichterung und dass sie sich in der Stadt Tulln wohl fühlen, sich hier aufgehoben fühlen.

Gemeinschaft der Verantwortlichen erzeugt starke Wirkung

Wie war es zu diesem gemeinsamen Auftritt in Moschee und Kirche gekommen?

Infolge der Schüsse in Wien hatte sich Unsicherheit unter unseren muslimischen Nachbarn ausgebreitet. Alte Traumata von Vertreibung und Krieg waren wieder erwacht. Daraufhin beschloss die Priesterschaft Tullns spontan und gemeinsam mit dem Bürgermeister, ihre muslimischen Nachbarn durch einen überkonfessionellen und kollegialen Auftritt zu stärken. Und alle begleiteten die muslimische Gemeinde im Freitagsgebet in der Moschee. Die Teilnahme an dieser Feier, so die erklärte Absicht, sollte Zugehörigkeit, Aufgehobenheit und Sicherheit vermitteln.

Dies ist gelungen, wie die Reaktionen beweisen.

Zukunft ist das, was wir aus der Gegenwart machen

Ich denke, dass sich daraus viel lernen lässt. Beispielsweise wie wichtig für jeden von uns das Vertrauen in eine Gemeinschaft ist. Oder welch positive soziale Wirkung die aktive Deklaration ernst gemeinten Miteinanders durch Verantwortliche entfalten kann. Es zeigt sich aber auch, dass der Sinn von Religion – egal von welcher - plötzlich verstanden wird, wenn sie Miteinander erfahrbar macht, sich dem Menschen zuwendet und diese Haltung von ihren Repräsentanten auch vorgelebt wird.

Vertrauen wächst aus Zusammenhalt

„Der Zusammenhalt und das Miteinander der Menschen ist der einzige Weg in eine glückliche Zukunft“, sagt Senad Kusur, denn wir sind verschieden geschaffen, damit wir voneinander lernen können. Lernen können wir nur aus Unterschieden. Wir müssen es nur schaffen, uns gegenseitig zuzuhören und neugieruig aufeinander zu sein.