Lisa kommt nach Hause, ist verzweifelt und weint. Der Lockdown war gelockert worden und an diesem Tag hatte sie zum ersten Mal wieder alle aus der Klasse gesehen. Aber die plötzliche Präsenz der vielen Menschen hat das 12jährige Mädchen überfordert. Die ebenfalls überforderten Lehrer hatten gleich am ersten Tag zwei Prüfungen abgehalten. Für den nächsten Tag waren drei weitere Leistungstests angekündigt.

Während die einen nach dem ständigen Hin und Her nicht mehr wissen, wie sich Gemeinschaft anfühlt, möchten die anderen entstandene Lücken hastig auffüllen. Beide werden getrieben von Befürchtungen und Unsicherheiten.

M.Vogler

All das ist nicht neu und aus der Geschichte von Epidemien früherer Jahrhunderte wohlbekannt. Von daher weiß man auch, dass am Ende solcher Ereignisse die Gefahr besteht, vom Regen in die Traufe zu geraten: vom Stress etwas nicht tun zu dürfen, zur Raserei, um die verlorene Zeit möglichst schnell aufzuholen.

Zwei Frösche sitzen auf dem Trockenen und finden Milch

Den besten Weg mit Krisen umzugehen, beschrieb bereits vor zweieinhalb Jahrtausenden der griechische Dichter Äsop in der Fabel von den Fröschen in der Milch:

Zwei Frösche lebten in einem Tümpel, nahe einem Bauernhaus. Da geschah es, dass die Sonne ihren Tümpel austrocknete. Verängstigt und in großer Sorge machten sie sich auf, um Wasser zu finden. So sehr sie sich aber bemühten, sie fanden keinen Bach und keinen anderen Teich.

Halb verdurstet und vertrocknet fanden sie schließlich am Abend einen Krug mit frischer fetter Milch. Sie konnten ihr Glück kaum fassen und sprangen hinein. Sie tranken und schmatzen und plantschten herum, dass es eine Freude war.

Als sie aber wieder hinaus wollten, bemerkten sie zu ihrem Entsetzen, dass die Wände des Kruges glatt und hoch waren. Immer wieder glitten sie ab. Immer wieder versuchten sie es von Neuem. Ohne Erfolg.

Warum der erste Frosch ertrank

Der eine Frosch versuchte krampfhaft sich zu erinnern, wie er früher aus rutschigen Tümpeln entkommen war. Immer schneller arbeitete sein kleines Gehirn bis ihm ganz schwindlig wurde. Aber etwas Ähnliches war ihm nie zuvor widerfahren. Da verfluchte er die Sonne, in der Hoffnung, dass sie weggehen und Regen schicken möge. Die aber erhörte ihn nicht.

Da er lange Zeit sehr kräftig gestrampelt hatte, wurden seine Beine allmählich müder und müder. Schließlich verlor er jede Hoffnung und gab auf. Er sank zu Boden und ertrank.

Der zweite Frosch macht Butter

Ganz anders der zweite Frosch. Auch er fürchtete sich und strampelte zu Beginn ebenso heftig, wie der erste es getan hatte. So etwas hatte auch er noch nie erlebt. Aber im Gegensatz zu dem ersten Frosch bemerkte er bald, dass er sich in einer unbekannten, neuen Situation befand, für die er keine bekannte Lösung finden würde. „So einfach komme ich hier nicht heraus,“ dachte er bei sich. „Aber vielleicht ergibt sich etwas, wenn ich länger durchhalte.“

So hörte er auf, einfach nur gegen die Wand des Kruges zu schwimmen. Er verlangsamte sein Strampeln und sparte seine Kraft. Aber er hielt sich unermüdlich an der Oberfläche.

Als der Morgen anbrach, bemerkte er etwas Festes unter seinen Füßen. Da hatte er durch sein langes Strampeln einen Klumpen Butter erzeugt. So fand er Halt, sprang aus dem Krug und war gerettet.

Während der eine Frosch in seiner Vergangenheit nach Antworten gesucht hatte und keine fand, dachte der andere daran, was nun zu tun sei, um ihm eine Zukunft zu ermöglichen.

Den Blickwinkel ändern

Unsere Situation ist ähnlich. Denn Pandemie und Lockdowns sind einfach da.

Was also können wir tun, um aus unserer Situation – also der „Milch“ in der wir schwimmen – „Butter“ zu machen?

Dazu müssen wir nur den Blickwinkel ändern.

Was wir gelernt haben

Als erstes ist einfach zu akzeptieren, dass die Situation so ist, wie sie ist. Und dass das Erleben einer Pandemie von nun an Teil unseres Erfahrungsschatzes ist. Von der Seite des ersten Frosches betrachtet, ist das einer Katastrophe. Denkt man aber wie der zweite Frosch, stellt sich heraus, dass uns diese Erfahrung niemand mehr nehmen kann. Das macht uns zu etwas Besonderem. Denn wir werden Krisenerfahrung besitzen.

  • Zum Beispiel haben wir alle unter der Abwesenheit von Begegnungen gelitten und dabei gelernt, wie wichtig Andere sind, wie nötig wir Beziehungen und persönliche Gespräche haben, um uns als Mensch fühlen zu können.
  • Wir konnten wenig Geld ausgeben. Einfach deshalb, weil der Handel lange Zeit geschlossen war. Vielleicht haben wir dabei gelernt, mit weniger Konsum auszukommen.
  • Wir haben erfahren, dass es sich mit weniger Druck und Hektik auch gut leben lässt. Die verringerte Lebensgeschwindigkeit hat möglicherweise den Blick frei gemacht für Dinge, die das Leben lebenswert machen. Dinge, die wirklich relevant sind.
Machen wir also „Butter“ daraus

All das haben wir nicht freiwillig erfahren. Es war kein Spaß und es ist immer noch keiner! Aber wir haben es erfahren! Und das ist entscheidend. Aus dieser Erfahrung „Butter“ zu machen, ist nun die Aufgabe.

Als Lisas Mutter ihr die Geschichte von den beiden Fröschen erzählt, beginnt sich der dunkle Nebel um sie herum langsam zu heben. Und auch ihrer Mutter geht es besser, denn sie erkennt im Gesicht ihres Kindes, dass Lisa wieder glücklich werden wird.

Auch erschienen unter:
https://www.stadtdesmiteinanders.at/2021/05/18/fabelhafte-krisenbewaeltigung/